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Das Werk Friedrich Zirms - Konzentration, Reduktion, Expression

Von Kunsthistoriker Dr. Tobias Wall:

Friedrich Zirm ist Zeichner, sein Handwerkszeug sind Kohle und Papier. Mit diesen Instrumenten ausgestattet tritt er in eine konzentrierte Auseinandersetzung mit seiner Welt, er beobachtet, analysiert, filtriert; eine permanente leidenschaftliche Suche nach der formalen Struktur der sichtbaren Wirklichkeit: Die Destillation der Welt in Zeichnung. Gestalterisch setzt der Zeichner Zirm bei der Linie an. Sie ist, wie der Künstler sagt, "der Ursprung von allem. Ihr wohnt die größte Einfachheit inne und damit auch die größte Kraft". Besonders in seinen "klassischen" Arbeiten der 90er Jahre dominiert die Linie die kompositorische Dramaturgie seiner Zeichnungen.

Selbst alle flächenhaften Bildelemente entstehen aus Linien, sie sind dicht aneinander gedrängte vibrierende Anhäufungen von einzelnen graphischen Gesten. Jedes Blatt, ja jedes einzelne Segment dieser Zeichnungen hat seinen eigenen Charakter. Mal ist der Strich fest und direkt geführt, mal bricht er aus, umspielt seine eigentliche Richtung oder wird verwischt. Auf diese Weise erhält jede Komposition ihre eigene intensive Lebendigkeit, mal nervös und fasrig, mal fest und statisch mit fast meditativer Ruhe.

In den Werken ab den 2000er Jahren scheint sich die Fläche zu verselbständigen. Wuchtige schwarze Formen dominieren das weiße Geviert der großformatigen Zeichnungen.

Die flächigen Elemente scheinen keinen Widerspruch durch ausbrechende Linien zu dulden, sie wirken wie graphische Monumente, in denen die künstlerische Suche nach der formalen Klarheit eine lakonische Antwort findet.

Mit seiner Werkgruppe der Reiß-Bilder machte Zirm jedoch klar, dass er mit seinen Flächen-Zeichnungen noch lange nicht am Ende seiner künstlerischen Suche angelangt war.

Im Gegenteil: Hier bricht mit unerhörter Kraft das auf, was dort noch zur Ruhe gekommen schien. Gleißende Risse unterbrechen die majestätische Ruhe der Fläche. Es entstehen Kluften und Krater, Spalten und Wunden. Archaische Landschaften. Man meint, dass hier tektonische Kräfte ihre Spannungen mit zeichnerischen Mitteln austragen. In den Rissen fordert die Linie mit unerhörter Kraft ihr Recht in Friedrich Zirms Kunst zurück. So gesehen zeigt es sich, dass auch Zirms Reiß-Bilder Zeichnungen sind. Der Künstler überschreitet mit seinen Rissen den traditionellen Kanon der graphischen Mittel und vermag so auf kühne und überraschende Weise sein zeichnerisches Werk überzeugend weiterzuführen: Der Riss als Radikalisierung der Linie.

Sein künstlerisches Ringen um die Form ist in diesen Werken in ein neues, kraftvolles Stadium getreten. In ihm zeigt sich aufs Neue die Sensibilität und unmittelbare Kraft, mit der sich der Zeichner Friedrich Zirm der Welt stellt: als niemals zufriedener Fragender, als rastloser Sucher nach ihrer formalen Essenz.
Tobias Wall