Künstler Friedrich Zirm FZ-Art

Friedrich Zirm über Friedrich Zirm

Ich bin ein rollstuhlfahrender Künstler, der seit der Geburt eine spastische Lähmung hat, mit dem Mund arbeitet und mit dem Kopf denkt. Nachdem ich 1998 mein Studium an der Kunstakademie Stuttgart beendet habe, arbeite ich nun in Stuttgart als freischaffender Künstler.

Ich bin ein Künstler, für den seine Körperlichkeit einerseits zu der Ausprägung einer ganz eigenen Art des künstlerischen Ausdruckes geführt hat und andererseits dadurch eine gesellschaftliche Dimension erlangt. Damit ist das allgemeine Kunstverständnis um den Lebenslauf eines Menschen erweitert, bei dem Kunst und Physis zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen sind, deren Symbiose sein Leben darstellt. Mensch, Kunst und Kunstwerk liegen bei mir enger zusammen als bei den meisten Menschen, die Kunst als eine ihrer Fähigkeiten entdeckten und sie quasi freien Willens in den Vordergrund ihres Daseins wählten. Bei mir als physio-motorisch annähernd maximal eingeschränktem Menschen hingegen, verschmelzen Person, Umsetzung und Ausdruck zum Produkt des Schaffens, zum Kunstwerk.

Wie es dazu kam

1963 wurde ich in Heidenheim an der Brenz geboren, maßgenommen, gewogen und als gehandicapped befunden. Im Alter von acht Jahren kam ich in ein anthroposophisches Heim, in dem man mir eine hervorragende Erziehung angedeihen ließ. Sie war von dem Grundsatz geprägt, meine Möglichkeiten auszuloten und das Beste daraus zu machen. Diesen Grundsatz habe ich bis heute verinnerlicht.

Nach elf Jahren Heimaufenthalt wechselte ich an die Freie Waldorfschule Engelberg. In der ersten Stunde des Kunstunterrichts saß ich etwas verloren in einer Ecke, während meine Klassenkameraden schon fleißig den Pinsel schwangen. Nach einer Weile trat die Kunstlehrerin auf mich zu, baute sich vor mir auf und dachte laut: "Was mache ich jetzt mit dir? Deine Hände gehen wohl nicht, also muss der Pinsel in deinen Mund." Dies war das Schlüsselereignis, wodurch sich mein weiteres Leben entschied. Von diesem Augenblick an kristallisierte sich immer mehr heraus, dass das künstlerische Schaffen mein Leben bestimmen wird.

Nachdem ich den Realschulabschluss hinter mich gebracht hatte, wechselte ich an die Freie Kunstschule Nürtingen. Hier verbrachte ich acht Semester damit herauszufinden, was ich mit meinem Mund als Werkzeug ausrichten kann. Nachdem das auch erledigt war, schrieb ich mich an der Kunstakademie Stuttgart im Fachbereich freie Grafik bei Professor Schoofs ein. Bis dahin war meine Arbeitsweise von zwei Dingen geprägt: erstens handwerkliche Fähigkeiten zu entwickeln und zweitens meine Welt intuitiv zu erobern. Hier habe ich gelernt, Ideen zu entwickeln und sie konsequent zu realisieren, Konzepte zu entwerfen und diese umzusetzen.

Meine frühen Arbeiten beschäftigen sich ausschließlich mit der Zeichnung, weil die Zeichnung etwas Puristisches hat. Sie ist die Spitze der Abstraktion und dabei gleichzeitig potenziell äußerst sinnlich und melodisch. Hier kommt mir meine spezielle Situation als Rollstuhlsitzender zu Gute. Ich bin in der Situation des potenziellen Stillstandes, das heißt, ich bin oftmals gezwungen, an einem gewissen Punkt still zu verharren. Dies gibt mir die große Möglichkeit, die scheinbar unwichtigen Dinge des menschlichen Zusammenseins, wie Gestik, Körpersprache oder die Art und Weise, wie sich das Individuum im Raum verhält und in Interaktion mit seinem Gegenüber tritt, genau zu studieren, zu analysieren und künstlerisch aufgearbeitet mit dem Mund zu Papier zu bringen.

Nachdem ich viele Jahre großformatige Gemälde realisierte, erkannte ich, dass die Kunst die die Wände der Galerien schmückt nicht den "einfachen" Menschen, also das nicht-kunstbeflissene Publikum, erreicht. Aus diesem Grund entwickelte ich die Idee der "Kunststückchen". Die Kunstwerke unter diesem Namen habe ich in DIN-A4 Format bis hin zu zwei auf drei Zentimeter kleinen Zeichnungen, oder auch in Form von Ansteckbuttons umgesetzt. Es erfüllt mich heute mit tiefer Freude, wenn ein Mensch der offensichtlich nicht kunstinteressiert ist, meine kleinformatigen, meist abstrakt gehaltenen Werke für sich erkennt, sich mit ihnen auseinandersetzt und sie zu sich nimmt.

Mein neuestes Projekt thematisiert das Zusammenspiel von Farbe, Bewegung, Maschine und Mensch. Hierbei setze ich die Maschine in Form eines elektrischen, zungengesteuerten Rollstuhls oder eines Modellautos das zum Malroboter umgebaut und ebenfalls zungengesteuert ist, ein, um Farben und Projektionsfläche zu verbinden und miteinander kommunizieren zu lassen. Hierbei gehe ich der Frage nach: Was schafft die Kunst? Ist es die Kreativität des Künstler, der auf die Technik und das Material - oder wie in meiner Situation gar auf die Maschine - angewiesen ist, oder ist es die Maschine selbst, die mir als Mensch ihre Struktur aufzwingt und damit meine Ausdrucksfähigkeit beeinflusst. Dieser Prozess der Analyse des Dialoges zwischen mir als Künstler und der Maschine als Mittel des Ausdrucks, soll in Form von Performances in der Öffentlichkeit ausgetragen werden.

In meinem Grundverständnis begreife ich die Kunst als ein Lebensmittel, sie kommt aus uns, wirkt als Verbindung zwischen uns, als Kommunikator zwischen den Kulturen, als Brücke zwischen Geschichte des menschlichen Seins und kreativen Gestaltens für die Zukunft. Sie muss begreifbar sein für jeden Menschen und Türen öffnen für Träume und Wünsche, für die Gestaltung unserer Zukunft. Sie ist ein Vehikel für den Ausdruck des aktuellen Gemütszustands des Einzelnen in der Gesellschaft und somit der Gesellschaft gemeinhin. Ich sehe mich als Arbeiter, als Handwerker, der etwas zutage fördert, quasi in die wahrnehmbare Realität bringt, was eigentlich schon da ist: Eine Kraft zu entschlüsseln, vom Unausgesprochenen ins praktisch Begreifbare.

Weil die Kunst der prägende Faktor meiner Existenz, meiner persönlichen Entwicklung und meiner Interaktion mit der Umwelt war und ist, ist alles um mich herum Kunst.